Die Evolutionsstufen der Beleuchtung

Licht ist unsichtbar.

Was bedeutet das? Entgegen landläufiger Meinung können wir Licht an sich nicht wahrnehmen. Nur Photonen, Lichtteilchen also, die unsere Netzhaut erreichen, werden von dieser detektiert. Einen Laser- oder Lichtstrahl beispielsweise kann man nur deshalb erkennen, weil er teilweise an Teilchen in der Luft gestreut wird, und einige dieser Photonen auf unsere Netzhaut gelangen. Im leeren Weltraum sind Lichtstrahlen völlig unsichtbar! Wir sehen dort also nur Sterne, deren Licht allseitig abgestrahlt wird und daher immer auch Photonen unsere Sehinstrumente erreichen, oder an Objekten wie z.B. Gasnebel gestreutes, reflektiertes oder gebeugtes Licht.

Beleuchtung

Es geht also bei Beleuchtung IMMER um Flächen, meistens Oberflächen. Wir sprechen von Be-Leuchtung, es werden Flächen mit einem Strom von Lichtteilchen be-aufschlagt. Die Lichtquelle hat also die Aufgabe, eine gewünschte Lichtverteilung auf einer Fläche herzustellen. Dies kann auf sehr verschiedene Weise geschehen:

  1. (Diffuse) Lichtquellen, die (meist) an zentralen Stellen im Raum angebracht sind, senden Licht aus, das mehr oder weniger zufällig auf die vorhandenen Flächen fällt, und von diesen teilweise (diffus) reflektiert wird. Das Ergebnis ist eine Helligkeitsverteilung auf den vorhandenen Oberflächen, die relativ wenig und nur mit geringem Kontrast beeinflusst werden kann, der gesamte Raum ist ohne grosse Schattierungen einigermassen gleichmässig erhellt. Eine solche Beleuchtungssituation liegt auch vor, wenn durch ein Fenster, das nicht von der Sonne beschienen wird, Licht in den Raum fällt, oder draussen bei stark bedecktem Himmel ohne direktes Sonnenlicht.

  2. (Stark) Gerichtete Lichtquellen erhellen gezielt einige Bereiche sehr stark, andere weniger oder gar nicht. Die stark erhellten Bereiche fungieren auch als (diffuse) Sekundärlichtquelle und erhellen den Rest der Flächen mehr oder weniger stark. Diese Beleuchtungssituation liegt beispielsweise vor in einem Raum mit sonnenbeschienenen Fenster(n), oder bei Vorhandensein lichtstarker, eng abstrahlender Spots, oder natürlich draussen bei Sonnenschein. Die Sonne ist hier mit ihrem aufgrund ihrer geringen wahrgenommenen Ausdehnung von ca. 0,5° quasi-parallelem Licht höchster Intensität der Massstab für diese Art der Beleuchtung.

  3. Die zu beleuchtenden Flächen werden punktgenau über Projektion (auch Autoscheinwerfer sind eine Art von Projektion, eigentlich ein um 90° gedrehtes «Wallwash» Beleuchtungssystem) mit Licht versorgt. Wenn diese Projektion räumlich aufgelöst ist, können naturnahe Licht- und Schatten­wirkungen erzielt werden. Hohe Kontraste sind möglich, ebenso virtuelle Schattenwürfe wie z.B. ein von der Sonne beschienenes "Blätterdach" könnte damit dargestellt werden. Dies ist eine bei Lichtinszenierungen beliebte Evolutionsstufe der Beleuchtung, nicht umsonst sprechen uns derartige Installationen und Projektionen sehr an. Auch bewegte Reflexionen wie z.B. von einer Wasseroberfläche wären möglich. Die Natur liefert hier genügend Beispiele, man denke nur an die faszinierenden Farbspiele der Wolken bei tiefstehender Sonne.

  4. Die Flächen leuchten selbst mit hoher räumlicher Auflösung. Die Wirkung ist dieselbe wie im Fall 3, allerdings sind die Pixellichtquellen Bestandteil der Fläche und damit eine Verschattung von aussen nicht möglich. Diese Art der Beleuchtung kennen wir sehr gut, von Bildschirmen, Reklametafeln und so weiter. Sie werden derzeit allerdings praktisch nicht für Beleuchtungsaufgaben eingesetzt. Sonst gilt für diese Lichtquellen ebenfalls das unter Punkt 3. Gesagte.

  5. Wenn diese Pixellichtquellen noch in der Lage sind, ihr Licht in Helligkeit und Spektralverteilung richtungsabhängig abzugeben, dann ist die höchste Evolutionsstufe der Lichttechnik erreicht. Solche Lösungen kennen wir in eingeschränkter Form, beispielsweise von Displays in Fahrzeugen, die ein für den Beifahrer sichtbares Video abspielt, während der Fahrer im selben Display Navigationsinformationen erhält.

Wo stehen wir heute?

Derzeit haben wir praktisch überall eine Beleuchtung, die sich zwischen dem (fliessenden) Übergang von 1. nach 2. bewegt, allerdings in den meisten Fällen eher sehr nahe bei 1. . Dies trifft vor allem auf die allermeisten künstlichen Lichtquellen zu. Licht wird also von meist grossflächigen, diffusen Leuchten wenig bis gar nicht gerichtet in Räume gebracht, im günstigsten Fall gibt es noch Akzente durch enger abstrahlende Lichtquellen. Die diffusen Leuchten sind das Äquivalent eines stark bedeckten Tageshimmels mit aus­schliesslich diffusem Lichtanteil. Dies entspricht nicht unbedingt unserer Präferenz, dennoch ist dies genau die Beleuchtungssituation in den weitaus meisten Innenräumen, in denen wir uns tagsüber aufhalten.

Hier besteht also noch erhebliches Entwicklungspotenzial! Wir stehen nach wie vor auf der niedrigsten Stufe der Beleuchtungstechnik. In aller Regel verwenden wir heute mehr oder weniger diffuse Lichtquellen und erhellen damit den Raum. Selbst bei «Flaggschiff»-Projekten kommen wir nicht weit über die oben genannte Stufe 1 hinaus: Zwar wird genauer auf die Platzierung und Auswahl der Licht­quellen geachtet, doch bleibt die Lichtverteilung weitgehend diffus, und die räumliche Auflösung, also auch die Beeinflussbarkeit der Lichtverteilung, ist sehr gering und durch die Anzahl Leuchten bzw. deren Schaltbarkeit begrenzt. Sonnenähnliche Schatten­spiele und scharf begrenzte Ausleuchtungen kommen dabei kaum vor. Genau genommen hat sich die Situation gegenüber früher oft noch verschlechtert – so lange noch Glühlampen verwendet wurden, ergaben die glühenden Wendeln passable kleine Lichtquellen. Mit dem Aufkommen zwar effizienter, aber grossflächiger Gasentladungslampen und -röhren verlor die Beleuchtung ein gutes Stück Natürlichkeit.

Holen wir sie uns endlich mit LED-Punktlichtquellen zurück!

© cenogent, 28.6.2019